Katalogtext von Nana Kogler

MULTIDILETTANTISCHE STRATEGIEN
Eine Behauptung, und dann passiert etwas.(1)

Wenn ich heute die Effekte künstlerischer Autonomie in Berlin zu finden suche, droht mir das den Tag zu versauern. Wäre da nicht Sophia Mix angereist, die uns alle retten wird: Prolls und Punks, Mädchen und Tiere, Clowns und Konsorten – alle, denen das Tun großen Spaß macht, das Zuhören und Anfassen. Das großzügige Wesen von Sophia Mix speist sich aus unermüdlichen Quellen. Flüsse von Begegnung und Aktion müssen nicht in Kunstwerken enden. Denkmäler hat sie allemal gemacht. Gegen den Strom, der nach Alter, Sex und korrekten Installationen fragt, spielt sie humorvoll Pralles. Mit ihren Songs, Trashclips und Moving Objects wird sie ein Jahr von Goldrausch gefördert. Yeah. Ich bin froh, dass sie mich gebeten hat, einen Text zu schreiben, der auf sie selbst eingeht. Ihre verdinglichte Seite ist in diesem Katalog ohnedies erfahrbar.

Ihr Werk ist rar – wütend und konkret, eingebettet in den Kontext ihrer Sprache. Das freie Theater strömt ihr durch den Körper. Da hat sie ihr Publikum mitzudenken gelernt. Heute zählt das präzise Schauspiel zu einer ihrer vielen Strategien.
Multimedial zu arbeiten macht es Künstlerinnen nicht leicht. Das hat nichts von seinem Schrecken eingebüßt, seit Andrian Piper in ihrem Essay On wearing three hats (2) auf die häufig fehlende Anerkennung mehrerer Professionen aufmerksam gemacht hat. Doch Sophia Mix stört sich nicht an erschwerten Bedingungen. Alles marschiert gleichzeitig auf, um zu bellen. Gern sucht sie den öffentlichen Raum, um ihre bildgewordenen Fragen in die Menge zu werfen. So nennt sie sich Multidilletantin (3), singt fragile Punkhymnen und kuratiert Konzertreihen und Festivals im Marlene-Engel-Stil (4), unaffektiert. Sie arbeitet dilettantisch im Sinne des Lustprinzips: um sorglos neue Medien zu erschließen und die eigene Position zum Umdenken aufzufordern.

Ihre neueste Arbeit ist ein komisches Stück Inklusion geworden. Im Kurzfilm NYX (2017) ist alles selbst gemacht. Sie hat Finanzielles, Dramaturgisches und Technisches über einen Sommer lang zusammengetragen. Mit minimalem Budget zeigt der kurze Essayfilm ein Kostümbild der Extraklasse und beschwört eine Vision herauf, die ich so nur im hedonistischen Umfeld der Bar25 erwartet hätte. Sophia hat ihren Freundeskreis portraitiert, wie er feiert, spielt und rennt. „Womit mal wieder belegt ist, dass nur das, was nah am Herzen ist, es irgendwie bringt und jedes ausgedachte Zeug ist eben nur ausgedachtes Zeug.“ (5) NYX schert sich nicht um Kohärenz und noch weniger um Lifestyle-Fragen. In den Tieren die Natur des Menschen zu erkennen, vielleicht ist das die zentrale Idee dieses Films. Aber er ist auch ein Stück audiovisuelle Literatur über Frauenbilder, Anderssein und der Suche nach dem Ursprung – Fragen, die letztlich Welten bilden.

Nana Kogler

(1) Vgl. Henrike Naumann, interviewt von Nina Scholz, in: Hate Magazin, 22.10.2015, http://hate-mag.com/2015/10/interview-henrike-naumann-und-the-museum-of-trance/
(2) Adrian Piper, On wearing three hats, Vortrag an der Brandeis University, Waltham 1996, online unter: http://www.adrianpiper.com/docs/WebsiteNGBK3Hats.pdf
(3) Siehe hierzu: Schreibweise Dilletantin/Dilettantin in: Wolfgang Müller, Geniale Dilletanten, Merve Verlag, Berlin 1981
(4) Mehr zu Marlene Engel unter: https://thegap.at/der-buergerkurator-marlene-engel-im-portraet/
(5) Wolfgang Tillmans in: If one thing matters – a film about Wolfgang Tillmans, 2008, https://vimeo.com/14087355, 1:00:00